Imizamo Yethu

Bereits unmittelbar nach meiner Ankunft in Cape Town wurde ich visuell mit dem konfrontiert, was ich eigentlich vorher schon wusste, aber noch nie real gesehen habe. Den Begriff ‹Township› in Südafrika verbinde ich mit der Zeit der Apartheid, mit Kriminalität und dramatischen Lebensbedingungen. Eigentlich stimmt das alles und doch ist die Sache viel Komplexer. Komplex deshalb, weil während der Zeit der Apartheid viele schreckliche Ereignisse diesen Begriff angefeuert haben. Zwangsumsiedlungen ganzer Stadtbezirke in Cape Town (z.b. District Sixt) und die Trennung der Bevölkerung aufgrund ihrer Hautfarbe haben dieses Wort negativ geprägt. In der Agglomeration Cape Town leben 2.5 bis 3.5 Millionen Menschen in solchen Townships. Die Zahlen variieren sehr stark, weil die Definition Township unklar ist. Auch die Frage, was noch zu Cape Town gezählt wird, ist ebenfalls je nach Quelle sehr unterschiedlich. Etwas mehr als 94% der Bevölkerung Südafrikas hat eine schwarze oder farbige Hautfarbe. Der Anteil der Bewohner:innen der Townships mit schwarzer oder farbiger Hautfarbe liegt nahe bei 100%.

Imizamo Yethu ist eine dieser Townships. Ich habe sie bei einer Rundreise um die Cape-Halbinsel von weitem auf der Durchfahrt schon einmal kurz gesehen und habe mein stereotypes Bild bestätigt gefunden: ‘Eine Township ist ein Slum’. Als unsere Schule eine Exkursion nach Imizamo Yethu angeboten hat, wollte ich diesen Ort in einer Gruppe besuchen. Angeboten wurde eine geführte Besichtigung mit einer Bewohnerin. Ein Kleinbus fuhr unsere Gruppe der Küste entlang, den Stränden von Cliften entlang über den Rücken des Hügelzugs des Ausläufern der ‹Twelve Apostels›. Dies ist die Fortsetzung des Massivs, welches mit dem Table Mountain bei Cape Town zum Meer hin abgeschlossen wird. Über den flachen Passübergang des Mount Rhodes erreichten wir die Bucht von Hout Bay. Dort, etwas vom Meer zurückversetzt, liegt Imizamo Yethu am Fuss eines Hügelzuges.

An der Einfahrt zum Dorf standen demolierte Autos neben einem Kiesplatz, der von den Kindern als Sportplatz benutzt wurde und ein paar halb verfallene Hütten, die vermutlich nicht mehr bewohnt werden. Es herrschte eine aufgeregte Stimmung. Begrüsst wurden wir von Zendaya, einer älteren, sehr lebendigen, schwarzen Frau. Sie strömte eine Herzlichkeit aus und erklärte uns wie Imizamo Yethu gegründet, aufgebaut und gewachsen ist. Heute wohnen etwa 50’000 Menschen hier und es gäbe eine Warteliste, weil so viele hierher ziehen wollen. Zendaya erklärte uns wie das Ordnungssystem im Dorf organisiert ist, weil die ordentliche Polizei nur ins Dorf kommt, wenn es Schlimmes geschehen ist. Ich spürte den Stolz von Zendaya, dass sie hier wohnen darf. Scheinbar macht sie diese Arbeit als Repräsentantin seit vielen Jahren und scheint diese Führungen sehr gerne zu machen.

Wir gingen die Strasse entlang, die uns auf eine Anhöhe führte, auf der sich der Grossteil der Siedlung befand. Gesäumt wurde die Strasse von Autos, die schwer vorstellbar überhaupt noch verkehrstüchtig sind. Beachtlich war auch der Verkehr auf dieser engen Strasse. Das Hupen der Minivan-Taxis war hier noch intensiver als auf den Strassen in CapeTown. Aber auch alle anderen Autos hupten. Es schien die normale Art und Weise zu sein, wie man sich hier austauscht. Mit entsprechenden Handzeichen und symbolischen Gesten reagierten auch die Fussgänger.

Unsere Gruppe wurde aus den Fenstern der Hütten skeptisch beobachtet. Zendaya instruierte uns, dass wir nur nach Rücksprache mit ihr Fotos machen sollen. Überall roch es nach Feuer und nach verbrannten Autoreifen. Aus Lucken in Baracken wurde uns Essen, vorallem eine Art Fleisch, angeboten. Diese Essensstände hatten Auslagen mit Fleischstücken. Zendaya öffnete einen Plastikeimer und zeigte uns eine Delikatesse – Hühnerfüsse. Thibaut, der Franzose aus meiner Klasse, kaufte eine Portion für umgerechnet einen Franken. Es war eine Art Mutprobe, etwas davon zu versuchen. Nur sehr wenige aus unserer Gruppe probierten die kleinen Stücke. Zendaya führte uns immer tiefer in das Labyrinth der Hüttenansammlung. Kinder spielten vor den Häusern mit Gegenständen, die sie sich vermutlich selbst zu Spielsachen umgebaut haben. Der Höhepunkt des Rundgangs war für mich ein Warenmarkt, der neben einer Mülldeponie stattfand. Die angebotenen Waren lagen auf Haufen auf dem ungeschützten Boden. Daneben stand ein handbetriebener Brunnen, und viele Frauen füllten Wasser in Kunststoffkanister. Nur die allerwenigsten Unterkünfte verfügten hier über fliessend Wasser, klärte uns Zendaya auf lud uns ein einen Schluck Wasser am Brunnen zu trinken. Thibaut, Caué aus Brasilien und ich waren die Einzigen die vom Brunnen Wasser tranken. Ich dachte mir, wenn alle diese Menschen hier das Wasser trinken, wird es kaum ‘giftig’ sein.

Der Besuch ging seinem Ende zu und Zendaya führte uns als Abschluss auf eine Anhöhe, von der aus wir einen impossanten Überblick über Imizamo Yethu hatten, eine Township die weitherum als ‹Vorzeigesiedlung› gesehen wird.

Für mich war es das erste Mal, dass ich so viel Armut und gleichzeitig so viel Fröhlichkeit zusammen gesehen habe.

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