Highlight 2: Zu Besuch bei Albert Mocke und Melissa Bates in Bonnievale
JGT Technical School
Ein geplanter eintägiger Zwischenhalt auf meiner Reise ins Landesinnere, führte mich (eine Autostunde von meiner Route südlich) nach Bonnievale. Dort befindet sich die ‚Jakes Gerwel Tegniese Hoërskool – JGT’. Rektor Albert Mocke lud mich zu einem Besuch an die Schule ein. Leider war der vereinbarte Tag ein Feiertag und so waren fast keine Lernenden auf dem Schulgelände. Melissa Bates, Lehrperson für technisches Zeichnen - sie nennen das hier Graphic Design - empfing mich am grossen Tor des Campus und führte mich als erstes ins Büro des Rektors. Ein kurzer Austausch über den bestehenden und geschätzten Kontakt zu unserer Schule und zu Daniel Kehl war Hauptinhalt unseres kurzen Gesprächs.
Die ‚JGT‘ ist in Südafrika ein Vorzeigeprojekt in der eher kargen Bildungslandschaft und wurde in der Vergangenheit deswegen auch von Nelson Mandela besucht.
Melissa führte mich über das weitläufige Gelände der Schule. Im Vorfeld habe ich versucht mich auf der Webseite etwas über die Ausrichtung der Schule zu informieren. Da diese nur in ‘Afrikaans’ online war, erschloss sich mir nicht auf welcher Schulstufe hier unterrichtet wird und an welche Zielgruppe sich diese Schule richtet. Beim Besuch der verschiedenen Gebäude wurde mir schnell klar, dass hier vorallem einfachste Handwerksberufe unterrichtet werden. Melissa erklärte mir die Hauptaufgaben der Schule und die Entstehungsgeschichte. Um dies zu verstehen, muss man sich der Unterschiede in der Gesellschaft in Südafrika zuerst bewusst werden.
Eine Bildungsgesellschaft, wie wir sie in unserem Teil der Erde kennen, ist in Südafrika unbekannt. Es gibt die universitäre Bildung hier auch, wie in den meisten Ländern der Erde. Doch scheint die Qualität, mit Ausnahme sehr weniger Universitäten im Land, wie zum Beispiel die ‚University of Cape Town‘ oder die ‚University of Stellenbosch‘, nicht dem Niveau unserer Bildungsinstitutionen zu entsprechen. Im Bereich der Berufsbildung gibt es in Südafrika wenige bis keine staatlichen Schulen. Wenn überhaupt, dann nur in sehr grossen städtischen Agglomerationen um Johannesburg, Pretoria oder Durban. Das heisst, die Besseren der wenigen Schulen in diesem Bereich sind privat geführt, fast alle gegründet von wohlhabenden Familien, welche ihren Arbeitern Bildung zukommen lassen wollten.
Die JGT ist eine solche Schule und bietet haus- und landwirtschaftliche, handwerkliche und administrative Grundausbildungen an. Die Lernenden kommen aus dem Umland, mehrheitlich aus Bonnievale. Etwa 3’500 Lernende dürfen diese sehr geschätzte Ausbildungsstätte besuchen. Die Meisten kommen aus Familien in denen Alkoholmissbrauch ein Normalzustand ist. Auch Grund dafür ist der Umstand, dass Alkohol einen Lohnbestandteil der Arbeitenden in der Landwirtschaft, vorallem im Weinbau, darstellt.
Die Lernenden stellen Gebrauchsgegenstände her, die dann Kunden zum Verkauf angeboten werden und deren Erlös teilweise an sie ausbezahlt wird. In der Metallwerkstatt, die im Vergleich zu anderen Werkstätten sehr gut ausgestattet scheint, zeigte mir Melissa rostende Halbröhren auf Beinen mit einem Rost. Diese ‚Braai‘ (Grill) hatte ich schon im Capricorn Town Ship, beim Mittagessen mit Marco Spalke, gesehen. Scheinbar ist dies ein Produkt, welches sich sehr gut verkauft. Im Durchschnitt, je nach Grösse, kostet es um die R 800, was umgerechnet etwa 50 Schweizerfranken entspricht, für die Bevölkerung hier eine Menge Geld.
Ich war dankbar, dass sich Melissa so viel Zeit nahm und wir nach zwei Stunden Rundgang die Gelegenheit für eine Pause, mit einem Kaffee, einlegen konnten. Besonders interessierten mich die Unterrichtsinhalte von Melissa, da sie ‚Graphic Design‘ unterrichtet. Nach der Pause ging in die Gebäude der ‚akademischen Fächer‘. In einem davon befand sich Melissas Unterrichtsraum.
Sehr erstaunt war ich, als wir den Raum betraten. Das Ganze sah überhaupt nicht wie ein Designstudio aus. Im Gegenteil, es erinnerte mich an die engen Computerräume an unserer Schule, viele Jahre zurück. Das, was hier an Geräten stand, waren keine Apple-Computer und wie sich herausstellte war das, was hier als ‚Graphic Design‘ gelehrt wird in etwa mit dem gleichzusetzen, was wir ‚Technisches Zeichnen‘ nennen. Stolz zeigte mir Melissa die Kunststoffsichthüllen an der Steckwand, die das Logo des GBS St.Gallen zeigten. Sie erzählte mir auch , dass dieser Raum von Daniel Brülisauer und seinen Mitarbeitern - unter anderen sei auch der Rektor unserer Schule dabei gewesen - eingerichtet und in Betrieb genommen wurde. Es war ein merkwürdiges Gefühl, in diesem Teil der Welt unser Logo in diesem Kontext zu sehen.
Melissa gab mir einen Einblick in ihre Unterrichtsvorbereitung und erläuterte mir wie ich mir ihren Unterricht vorstellen müsste. Es war spannend und aufschlussreich das alles zu hören und die Unterschiede zwischen dem Alltag hier und dem in St.Gallen zu vergleichen. Auch merkte ich, dass meine sechs Wochen Intensivenglisch nicht reichten, um Melissa mit ihrem starken südafrikanischem Akzent ganz zu verstehen.
Mein Besuch wäre natürlich noch sehr viel spannender gewesen, wenn die Schule in vollem Betrieb und das Gelände mit Schülern belebt gewesen wäre. Trotzdem ging für mich dieser Tag zu schnell zu Ende. Auf der Rückfahrt nach Robertson machte ich einen kurzen Halt auf dem ‚Weltevrede Wine Estate‘ von Lourens Jonker, dem Mäzen der JGT - Jakes Gerwel Technical School und durfte in einer märchenhaften Umgebung einen der besten Chardonnays in Südafrika geniessen. Und wieder wurde mir bewusst, wie nah der Kontrast zwischen Reich und Arm hier in diesem Land beieinander ist.


















Fazit
Zielsetzungen in diesem Teil
Ein Engagement unserer Schule vor Ort besuchen.
Ein Bildungsangebot in einem völlig anderen Bildungssystem kennenlernen.
Unterschiede zu unserem Berufsbildungssystem erfahren.
Was nehme ich aus dieser Erfahrung mit?
Dieser Tag war sehr intensiv. Die Kontraste auf der Autofahrt von Robertson nach Bonnievale - zwischen Prachtsweingütern und sichtbarer Armut der Strasse entlang waren die Einleitung in den bevorstehenden Besuch. Der Eintritt in den Campus durch ein bewachtes Portal, in ein Areal mit Stacheldraht umzäunt, verstärkte die Eindrücke der Anreise noch deutlicher. Es ist immer wieder verblüffend, wie unterschiedlich Schule stattfinden kann. Die Erfahrungen, die ich an diesem Tag machen durfte, sehe ich stark im Vergleich zu aktuellen Projekten an unserer Schule, wie zum Beispiel ‘Blended Learning’. Es geht dabei nicht um den Vergleich von Bildungsqualität, sondern vielmehr darum, dass Bildung ein Luxus und ein massgeblicher Faktor des Wohlstandes ist. Leider wird dieser Luxus bei uns immernoch als selbstverständlich angesehen. Hier in diesem Teil der Erde zeigt sich mir, dass dem in keiner Weise so ist.
Fachdidaktische Erkenntnisse
Praxistaugliche und aktuelle Bildung braucht optimale Rahmenbedingungen.
Die Atmosphäre der Lernumgebungen ist ein wichtiger Faktor für die Entwicklung junger Menschen und deren Lernerfolg. Lernumgebungen müssen den lokalen und kulturellen Befindlichkeiten und Bedürfnissen der Lernenden angepasst sein. Die Schule als Ort des ‘Halts’, der ‘Struktur’ und ‘Sicherheit’ ist etwas was sich hier in Bonnievale deutlich zeigt. Ich bin aber überzeugt, dass diese Aspekte bei uns genauso wichtig sind, auch wenn sie anders gewichtet werden müssen.
Es ist mir wichtig diesem Aspekt in unserer Schule und besonders in meinem Aufgabenbereich mehr Aufmerksamkeit zu schenken.